„Die Jugend hört kein Radio mehr!“ – Wirklich?
„Die Jugend hört kein Radio mehr.“ Dieser Satz klebt sich wie Kaugummi unter dem Sitz an Debatten über Medienwandel – schwer zu entfernen, aber selten wirklich geprüft. Doch trifft er überhaupt zu? Das aktuelle Whitepaper „Radio im Wandel“ von Dirk Engel zeigt: Wer genauer hinsieht, erkennt keine einfache Erosion, sondern ein vielschichtiges Bild. Ja, die Nutzungsmuster verändern sich. Von einem schleichenden Untergang des Mediums kann jedoch keine Rede sein. Ein Blick in die Daten lohnt sich.

Radio und die Digital Natives
Kaum ein Medium wurde in den letzten Jahren so häufig infrage gestellt und hat sich zugleich so beständig gehalten wie das Radio. Mit dem Aufkommen der Digital Natives, also der Generationen Y, Z und Alpha, häuften sich die Prognosen, das lineare Hören werde an Relevanz verlieren – ganz zu schweigen von der noch nicht einmal geborenen nachfolgenden Generation. Und tatsächlich verändert sich die Radionutzung. Sie verschwindet jedoch nicht, sondern findet in neuen Formen und Kontexten statt. Wer genauer hinschaut, erkennt keinen schleichenden Abschied, sondern eine stille, aber stabile Verlagerung im Alltag verschiedenster Generationen. „Radio stirbt mit den Alten“ – eine These, die in Diskussionen über Medienwandel immer wieder mitschwingt, wenn auch nicht immer offen ausgesprochen. Doch wie belastbar ist dieses Narrativ wirklich? Dirk Engel hat sich auf Basis der ma Audio-Daten die Radionutzung der letzten 25 Jahre genau angesehen – und zeigt im Whitepaper, wie differenziert die Realität tatsächlich aussieht. Viele gängige Annahmen über das Medienverhalten einzelner Generationen halten der Überprüfung kaum stand.
Stabilität ist kein Zufall
Was sofort auffällt: Der sogenannte „weiteste Hörerkreis“, also die Menschen, die in den letzten vier Wochen überhaupt Radio gehört haben, liegt auch im Jahr 2024 bei über 90 Prozent. Die Tagesreichweite hingegen ist gesunken – von rund 80 Prozent im Jahr 1999 auf etwa 71 Prozent heute. Interessant ist, dass die Verweildauer gestiegen ist. Wer Radio hört, tut das heute länger. Diese Entwicklung widerspricht dem verbreiteten Eindruck vom „Nebenbei-Medium ohne Relevanz“. Laut Whitepaper sieht man also grundsätzlich eine Veränderung beim Radiohören: leicht sinkende Reichweite, mehr Sender, mehr Radiozeit. Es fällt jedoch auf, dass die Änderungen nicht so dramatisch sind, wie viele sie wahrnehmen. Es ist immer noch eine große Mehrheit von mehr als zwei Dritteln der Deutschen, die täglich Radio hört.
Radio ist generationsabhängig – aber nicht so, wie man denkt
In seiner Analyse unterscheidet Engel zwischen Alterseffekten, Periodeneffekten und Kohorteneffekten. Diese Unterscheidung macht vieles klarer. Denn natürlich nutzen junge Menschen heute das Radio anders. Das liegt jedoch nicht nur am Geburtsjahr, sondern auch an den Lebensphasen. Ein entscheidender Moment ist beispielsweise der Beginn der Berufstätigkeit: Wer morgens ins Auto steigt oder tagsüber im Büro arbeitet, hört häufiger Radio. Und das quer durch die Generationen. Auch deshalb liegt die Tagesreichweite bei den 35- bis 70-Jährigen nach wie vor stabil bei rund 80 Prozent.
Gen Z hört – nur anders
Die Aussage, dass die Gen Z das Radio „verlernt“ habe, ist nicht korrekt. Sie hört selektiver, vielfältiger und digitaler. Laut Whitepaper ist ihre Tagesreichweite mit rund 60,5 Prozent zwar die niedrigste aller untersuchten Kohorten, doch die Verweildauer liegt mit 200 Minuten deutlich über drei Stunden. Die Zahl der gehörten Sender hat sich in den letzten 25 Jahren verdoppelt. Der Beitrag auf radioszene.de bringt es auf den Punkt: Was junge Menschen vom Radio erwarten, ist Glaubwürdigkeit, Nähe und Kommunikation auf Augenhöhe. Wenn Sender das liefern, sind auch 16-Jährige erreichbar – nur eben nicht mit denselben Botschaften wie 45-Jährige.

Babyboomer bleiben, Millennials halten, Gen Z ist offen
Die Babyboomer sind am stärksten mit dem Radio verbunden. Sie hören täglich, lange und wechseln selten. Auch die Generation X folgt diesem Muster, ist dabei aber etwas flexibler. Bei den Millennials (Generation Y) wird es spannend: Oft als verloren bezeichnet, zeigen sie eine stabile Nutzung über die letzten Jahre. Radio bleibt bei ihnen Teil des Alltags. Die Gen Z ist die erste Generation, bei der eine leichte Erosion sichtbar wird, aber auch sie ist nicht per se verloren. Laut Whitepaper sind ihre Nutzungsgewohnheiten fragmentierter, aber nicht radikal anders.
Blick nach vorn: Wer hört 2050 noch Radio?
Im Jahr 2050 werden Babyboomer und Generation X nur noch etwa 22 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Gleichzeitig werden die Generationen Z, Alpha und ihre Nachfolger dann rund drei Fünftel der Bevölkerung ausmachen – also überwiegend Gruppen, deren Bindung ans Radio deutlich schwächer ist oder die das Medium noch gar nicht nutzen. Sollte sich der Rückgang der Radionutzung von Gen Y zu Gen Z weiter fortsetzen, droht dem Medium laut dem Autor ein spürbarer Bedeutungsverlust. Hinzu kommt, dass auch die Gesamtbevölkerung schrumpfen könnte – und mit ihr die Reichweite, auf die das Radio bislang zählen konnte.
Fazit: Radio bleibt – wenn es sich bewegt
Das Radio steht nicht vor dem Rückzug, sondern vor einer Reorganisation. Die Nutzungsgewohnheiten verändern sich – weniger abrupt, als viele glauben, aber spürbar. Was bleibt, ist eine breite Hörerbasis, die sich aus unterschiedlichen Bedürfnissen und Gewohnheiten zusammensetzt. Auch im Jahr 2050 wird das Radio seinen festen Platz im Mediamix haben, wenn auch vielleicht nicht mehr mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie früher. Es wird aber immer noch eine beachtliche Reichweite und Relevanz haben. Millionen Menschen werden es weiterhin nutzen – aus Gewohnheit, wegen seiner Verlässlichkeit oder weil es einfach gut in bestimmte Alltagssituationen passt. Entscheidend ist, dass Inhalte und Ausspielwege mit den Bedürfnissen der Hörer:innen mitwachsen. Denn wie das Whitepaper zeigt: Die Mediennutzung verändert sich mit dem Leben – nicht abrupt, sondern Schritt für Schritt. Wer diesen Wandel mitgestaltet, bleibt hörbar.

Quellen: Radiozentrale Whitepaper „Radio im Wandel“, Radiozene „Was Gen Z bis Gen Alpha im Radio wirklich hören wollen“, Bild mit KI (Dall‑e) erstellt
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